Sonntag, 17. Februar 2013

Kapitel 6- Neugier

Das Gespräch mit ihrer Großmutter hatte Imogene fast bis in die frühen Morgenstunden wachgehalten. Glücklicherweise war der Tag ein Samstag, also konnte sie ausschlafen. Wenn sie nur schlafen könnte. Ihr Kopf schwirrte von all den Dingen, die sie ihrer Großmutter erzählt hatte.
Die beiden hatten ein fast geschwisterliches Verhältnis zueinander, was Imogene im Laufe des Abends dazu veranlasste, ihr sogar von ihren Gefühlen für Albus zu erzählen. Narcissa war nicht gerade das, was man erfreut nannte, verstand aber auch, dass man sich seine Gefühle nicht aussuchen konnte.
Innerlich hoffte sie ein bisschen, es wäre nur eine Phase, eine Schwärmerei vielleicht. Dracos Entscheidung, Nathanael für seine Tochter auszusuchen, verwunderte sie nicht.
Aber sie fand es auch unverständlich.
Sie hatte Gene versprochen, nochmal mit ihm zu reden.

Viel Hoffnung hatte die Fünfzehnjährige nicht.
Einigermaßen lebendig, aber verdammt müde, hing Imogene am nächsten Morgen am Slytherintisch und rührte in ihrer Müslischale.
Sie war eigentlich zu müde um etwas zu essen. Ihr Blick galt fast unablässig dem Ravenclawtisch, aber Albus konnte sie nicht entdecken. Vielleicht hatte er ja ihre Aufmerksamkeit bemerkt und war genervt davon?
Der Gedanke gefiel ihr gar nicht und ließ sie sich selbst schimpfen. Sie war viel zu aufdringlich.
“Guten Morgen, Gene”, zwitscherte Aranea und setzte sich schwungvoll neben ihre Schwester, “weißt du, was ich heute gehört habe? Sie wollen einen Schulball geben! Nächsten Freitag, sogar mit Prinzenpaarwahl!”
Nea wirkte hellauf begeistert, doch Imogene konnte dem nichts abgewinnen.
“Aha”, sagte sie nur und schob sich einen Löffel Müsli in den Mund. Gene war eben mehr die Quidditchspielerin, an Beliebheitswahlen war sie nicht interessiert.
Aranea plusterte empört die Wangen auf.
“Wie kannst du nur so wenig Interesse zeigen, Schwesterherz? Du bist eine Malfoy, du musst stolz darauf sein und solche Dinge sollten dich sehr wohl interessieren”, belehrte sie ihre jüngere Schwester mahnend.
Imogene brummte: “Ach, sei doch still. Du weißt genau, dass mich das nicht interessiert.”
Aranea schüttelte den Kopf. Sie konnte ihre Schwester wirklich nicht verstehen. Dann aber wurde ihr Lächeln zu einem kleinen gemeinen Grinsen.
“Wenn du den Wettbewerb gewinnst, wird ja Albus vielleicht auf dich aufmerksam”, merkte Aranea an. Imogene musste zugeben, dass es sehr verlockend klang. Aber so schätzte sie ihn nicht ein. Das wäre ja etwas komplett neues, wenn er auch so drauf wäre, wie diese aufmerksamkeitsheischenden Teenager hier.
“Das glaube ich nicht”, sagte sie also ziemlich entschieden und stand auf, “und jetzt entschuldige mich bitte. Ich habe wichtigeres zu tun, als mir Gedanken um solch belanglose Dinge zu machen.”
Sie schenkte ihrer Schwester ein kurzes Lächeln, dann verließ sie den Slytherintisch.
Schnellen Schrittes durchquerte sie die Halle und verließ diese.

Kaum bog sie um die Ecke, als sie auch schon gegen ihren Bruder rannte. Der hatte ihr grade noch gefehlt. Heute schienen es wohl alle auf sie abgesehen zu haben, das konnte doch gar nicht wahr sein.
“Hallo, Scorpi”, begrüßte sie ihn murmelnd und wollte direkt weiterziehen, doch der Ältere griff nach ihrem Handgelenk.
“Stehen geblieben, Imogene”, meinte er etwas ruppig, “wir haben ein Hühnchen zu rupfen!”
Gene versuchte, sich seinem Griff zu entreißen und verzog das Gesicht: “Das tut weh! Lass mich los!”
Das tat er dann auch. Doch dabei hörte er nicht auf, sie finster anzusehen und Gene fragte sich, was er schon wieder für einen Spinner hatte. Denn sie hatte doch gar nichts mehr angestellt, seit ihrer Malerei in seinem Gesicht. Oder ging es um seinen Freund, mit dem sie auf der Feier geknutscht hatte? Ja, das konnte sie sich schon vorstellen.
“Was zum Henker hast du dir dabei gedacht, dich bei der Zeremonie mit Rose und Lily sehen zu lassen? Wie oft muss man dir noch sagen, dass du dich von ihnen fernzuhalten hast?”, zischte Scorpius wütend und funkelte sie aufgebracht an. Imogene seufzte nur über seine veraltete Art. Dass er die selbe Einstellung hatte, wie ihr Großvater und teilweise auch ihr Vater, war doch wirklich traurig. Doch einschüchtern ließ sie sich davon schon ziemlich lange nicht mehr.
“Was ist dein Problem? Sie sind meine Freundinnen...kann dir doch egal sein”, erwiderte die Blondine also nur recht trocken und wollte sich an ihm vorbeidrängen. Warum glaubten alle, sie kontrollieren zu müssen? Es war ihr Leben. Ihre Entscheidungen. Und bei Merlin, es ging niemanden etwas an.
“Es geht um unsere Familie! Du ziehst unseren Namen in den Schmutz! Bedeutet er dir gar nichts mehr?”, fragte er nach, klang aber nicht weniger aggressiv. Doch Imogene wurde jetzt wirklich sauer, sie hasste es, wenn jemand ihre Freudinnen beleidigte. Nur weil sie ihre Freundschaft nicht verstanden, musste sie nicht runtergemacht werden.
“Oh bitte! Was habt ihr alle nur immer mit euren Vorurteilen? Rose und Lily sind zufälligerweise sehr kluge und freundliche Mädchen und auch Albus und James sind schwer in Ordnung! Wühl doch in deinem eigenen Dreck, immerhin läufst du mit der Schulhure durch die Gegend und mit einem Volltrottel!”, fuhr sie ihren Bruder aufgebracht an. Selten gebrauchte die Malfoy solche Ausdrücke, war sie doch eigentlich sehr wohlerzogen. Doch damit brachte er sie wirklich zur Weißglut.
Seine Miene wurde kalt wie Eis, sein Blick drückte Verachtung aus: “Manchmal frage ich mich doch wirklich, warum du dich meine Schwester schreist.”
Imogene schnaubte: “Ich habe darum ja auch gar nicht gebeten. Und jetzt geh mir aus dem Weg, ich habe noch zu tun.” Schlecht gelaunt schob sie Scorpius beiseite und eilte an ihm vorbei. Sie wollte sich nicht anmerken lassen, wie verletztend sie seine Worte empfand. Obwohl sie diese jetzt schon zwei Jahre über sich ergehen ließ änderte sich daran nichts. Die Slytherin konnte auch nicht begreifen, was so tragisch daran war, dass sie toleranter geworden war. Und eben andere Freunde hatte. An Rose und Lily war nichts schlechtes.

Wenig später kam Imogene an der Bücherrei an, was schon verwirrend genug war. Ihre Beine hatten sich wohl selbstständig gemacht, aber so schlimm war das nicht. Hier war es zumindest ruhig. Mit einem Nicken begrüßte sie die Bibliothekarin und ging dann weiter ins Innere. Am besten verkroch sie sich irgendwo in einer Ecke und widmete sich ihren Büchern, bis es Zeit zum Abendessen war oder so. Mit diesem Vorhaben im Kopf wollte sie gerade nach links abbiegen, als sie ein leises Geflüster hörte. Eine der Stimmen gehörte eindeutig Albus, die andere hingegen kannte sie nicht. Eigentlich gehörte es sich zwar nicht, aber neugierig war Imogene schon immer gewesen und immerhin ging es hier um ihren Schwarm. Auf leisen Sohlen schlich sie sich näher an die Stimmen heran und verschwand in der Reihe direkt dahinter. Ebenso lautlos nahm sie ein Buch aus dem Regal, sodass sich ihr ein Blick auf den Tisch dahinter bot. Albus saß einem schwarzhaarigen Mädchen aus Slytherin gegenüber, beide hatten die Köpfe über ein Buch in der Mitte des Tisches gebeugt. Da konnte man ja direkt eifersüchtig werden. Und Gene merkte, dass sie es war, schob es aber nach hinten. Angestrengt versuchte sie, etwas vom Gespräch zu erhaschen, doch mehr als ein paar Fetzen fing sie davon nicht auf.
Unterirdischer Tunnel? Aufträge und Versammlung? Wovon redeten sie da nur? Das ergab doch gar keinen Sinn. Grüblerisch lehnte sie sich etwas zurück, stolperte dabei und landete mit einem lauten Krachen auf dem Boden, nachdem sie sich erstmal an der Holzbank angestoßen hatte. Scharf sog Imogene die Luft ein, der Schmerz war bombastisch, trieb ihr geradezu Tränen in die Augen. Verdammt, warum passte sie nicht einmal auf? Schon kam Albus um die Ecke mit grimmiger Miene, die sich nur ein kleines bisschen erhellte, als er Imogene erkannte.
“Hast du uns etwa belauscht?”, fragte er in recht ruppigem Tonfall und zog das verlegene Mädchen grob auf die Beine. Daraufhin errötete sie noch etwas mehr.
“N..nein, ich hab nur..tut mir leid”, murmelte sie und verzog das Gesicht, als sie auftrat und sich ein ziehender Schmerz über ihr Bein zog, was noch nicht so schlimm war, wie der Schmerz, der in ihrer Hüfte pochte. Da hatte sie sich aber wirklich blöd verletzt.
“Für eine Malfoy hast du verdammt schlechte Manieren. Man lauscht nicht”, wies er sie zurecht, doch Gene meinte, seine Mundwinkel leicht zucken zu sehen. Fand er das Ganze hier etwa lustig? Sie jedenfalls tat es nicht. Aber daran war sie auch selbst schuld.
“Für einen Potter hast du erstaunlich viel mit Slytherins zu schaffen”, gab sie murrend zurück und griff nach ihren Sachen. Heute schien wirklich ein verfluchter Tag zu sein. Ob sie sich besser einfach in ihr Zimmer verziehen sollte?
Albus Blick wanderte zurück zu der Schwarzhaarigen, die Imogene nun als Wendy Bullstrode erkannte, welche mit verschränkten Armen und ungeduldigem Blick neben dem Regal stand.
“Wir sind in einer Klasse, warum sollte ich nichts mit ihr zu tun haben?”, fragte er dann wieder an Imogene gewandt und zuckte die Schultern. Für ihn war da wirklich nichts dahinter. Er wusste auch gar nicht, warum er sich überhaupt vor ihr rechtfertigte.
Gene sagte darauf nichts. Ganz bestimmt wollte sie nicht auch noch mit einer dritten Person streiten, ganz besonders dann nicht, wenn sie eigentlich schuld an der Situation war.
“Schon gut..ich wollte euch nicht belauschen. Ich gehe jetzt besser”, winkte die Blondine ab und setzte auch wirklich dazu an, doch kaum hatte sie einen Schritt gemacht, ging sie wimmernd in die Hocke. Bei Merlin, was hatte sie bitte gemacht, dass ihre Hüfte so wehtat? So stark war sie doch gar nicht gegen die Bank geprallt.
So würde sie ewig brauchen, bis sie in ihrem Zimmer war. Es war zum Haare raufen. Sie hörte ein Seufzen und im nächsten Moment stand Albus vor ihr und ging mit dem Rücken zu ihr in die Hocke: “Na los, steig auf. Ich bringe dich zum Krankenflügel.”
Imogene blinzelte verdutzt und errötete erneut: “W-was? Das..das ist nicht nötig, ich schaff das schon alleine.”
Sie würde sich doch wohl nicht von ihm durch die Gegend tragen lassen?! Wie sah das denn aus? Al warf ihr einen mürrischen Blick zu: “Das will ich sehen.”
Die Malfoy presste die Lippen zusammen und rappelte sich auf, um ihren Weg fortzusetzen, doch auch dieses Mal kam sie nicht weit. Innerlich fluchte sie, während sie versuchte, keinen Ton von sich zu geben.
“Legst du jetzt deinen Stolz ab und lässt dir von mir helfen?”, fragte der Junge ungeduldig, während Wendy sich ein Lachen verkniff.
Das war so demütigend. Aber nicht, weil sie Hilfe brauchte, sondern weil es ausgerechnet Albus war, der sie ganz offenbar Huckepack nehmen wollte.
“Ich bin viel zu schwer”, nuschelte Imogene, trat aber unsicher einen Schritt auf ihn zu. Der Potter musste lachen: “Seh ich etwa so schwach aus? Außerdem bist du bestimmt nicht zu schwer. Jetzt mach schon oder willst du hier Wurzeln schlagen?”
Imogene schüttelte den Kopf und kletterte schließlich auf seinen Rücken, hielt sich zaghaft an seinen Schultern fest. Himmel, er roch so gut. Ihr Herz schlug so schnell, dass ihr davon fast schwindelig wurde, so nah war sie ihm noch nie gewesen! Seltsame Umstände hin oder her, das war es doch wirklich wert.
Albus richtete sich auf und sagte Wendy, dass er dann nochmal zurück kommen würde, ehe er sich auf den Weg zum Krankenflügel machte.
Die meiste Zeit schwiegen sie, aber das war Imogene recht, konzentrieren konnte sie sich eh nicht. Aber es interessierte sie, was in Albus Kopf vorging, er wirkte sehr gedankenverloren. Eigentlich kannte sie ihn kaum, fiel ihr auf, als sie sich diese Frage stellte. Sie würde ihn so gern besser kennen...allein, dass er sich um sie sorgte, obwohl er sauer sein sollte zeigte doch, was für eine tolle Person er war, oder?
“Worüber haben Wendy und du geredet, wenn ich fragen darf?”, fragte die Malfoy ein wenig schüchtern, schließlich wusste er sowieso schon, dass sie gelauscht hatte. Da konnte sie gleich auch nachfragen.
Albus zuckte leicht die Schultern: “Nichts wichtiges.”
Also etwas sehr wichtiges. Und geheimes. Das machte sie gleich noch viel neugieriger! Sie wünschte, sie hätte ein Langziehohr dabei gehabt. Aber nein, sowas schleppte sie selten mit sich rum.
“Verstehe”, gab sie also wenig überzeugt zurück. Aber er hatte ja recht, es ging sie überhaupt nichts an. Sie waren nichtmal befreundet. Vielleicht konnte man das aber ändern? War doch eine gute Möglichkeit dafür jetzt.
Doch viel zu schnell waren sie im Krankenflügel, der bis auf die Krankenschwester leer war. Behutsam ließ Albus das Mädchen auf einem der Betten hinab und legte ihre Tasche neben sie.
“Danke fürs Bringen”, sagte Gene sofort und meinte es auch wirklich ernst. Trotz ihres dummen Verhaltens, ihn davon abhalten zu wollen.
“Kein Problem, alleine wärst du ja morgen noch nicht da gewesen”, gab er zurück und schmunzelte etwas. Sie errötete nur wieder ein wenig, besann sich dann aber nochmal auf ihre Manieren: “Und es tut mir wirklich leid, dass ich gelauscht habe. Ich bin viel zu neugierig.”
Zustimmend nickte Albus: “Das bist du wirklich, aber du hast dich ja gleich selbst dafür gestraft. Pass nur auf, dass dir deine Neugier nicht irgendwann zum Verhängnis wird, kleine Malfoy.”
Mit diesen Worten verließ er das Krankenzimmer und Imogene konnte ihm nur verblüfft hinterherstarren. Was fiel ihm ein? Nannte sie einfach kleine Malfoy..pah!
Trotzdem bekam sie ihr Lächeln nicht aus dem Gesicht. Er hatte mit ihr gesprochen...und sie sogar getragen. Das war mehr als sie je gedacht hatte.

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